29.02.2024
„Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.“
„Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.“
Die vom damaligen Finanzminister Olaf Scholz auf den Weg gebrachte Grundsteuerreform ist bekanntlich stark umstritten. Nun gerät das Bundesmodell in Schieflage: Das zuständige Finanzgericht Rheinland-Pfalz hatte anlässlich zweier Eilanträge von Immobilienbesitzern „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln“ geäußert.
Als „eines der größten Projekte der Steuerverwaltung der Nachkriegsgeschichte“ rühmte das Finanzministerium das bürokratische Monstrum namens Grundsteuerreform. Nun droht die Novelle ein legendärer Reinfall zu werden. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) und der Verband Haus & Grund (H&G) unterstützen bereits erste Musterklagen. 36 Millionen Gebäude und Grundstücke gilt es neu zu bewerten. Vor vier Jahren hatten Scholz und die Landesfinanzminister zugesagt, dass die Reform, die in elf Bundesländern ab 2025 in Kraft treten soll, insgesamt nicht zu einer höheren Belastung führen werde. Millionen von Steuerzahlern haben mittlerweile jedoch Einspruch gegen ihre Bescheide eingelegt, weil ihnen eine bis zu zehnfach höhere Steuerlast droht, sollten die Kommunen im Gegenzug ihre Hebesätze nicht senken. Vielerorts bleiben die Einsprüche einfach liegen, weil die Finanzämter mittlerweile ebenso ratlos wie überlastet sind.
Verzerrungen bei der Wertermittlung
Casus knacksus ist vor allem die ungenaue und damit ungerechte Grundstücksbewertung auf Grundlage der Bodenrichtwerte. Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz kritisierte in seinen Urteilen vom 23. November 2023 (4 V 1295/23 und 1429/23) insbesondere, dass die Vielzahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalisierungen keine realitätsgetreue Grundstücksbewertung zuließe. Individuelle Aspekte der bewerteten Grundstücke und Immobilien würden vernachlässigt, so dass es zu Verzerrungen bei der Grundsteuerwertermittlung komme. So waren im Falle der Eilantragsteller der schlechte bauliche Zustand eines Hauses sowie die nur eingeschränkte Nutzbarkeit eines Grundstücks nicht in die Bewertung eingeflossen, weswegen der errechnete Grundsteuerwert sehr viel höher ausfiel als zuvor. Insgesamt könne nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden, so die Richter. Darüber hinaus bezweifelte das FG die Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse, welche die Bodenrichtwerte festgelegt hatten.
Zwar betont das FG, der Richterspruch beziehe sich nur auf die beiden Eilanträge und sei nicht als abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsregeln der Grundsteuer zu werten. Dennoch geht von dem Urteil eine starke Signalwirkung aus. Viele Immobilienbesitzer in Deutschland dürften sich bestätigt fühlen. Auch der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Gregor Kirchhof hatte die Reform in einem viel beachteten Gutachten bereits im April 2023 als gleichheits- und verfassungswidrig bezeichnet und die Politik zum Handeln aufgefordert.
„Weckruf an die Politik“
Von einem „Weckruf an die Politik“ spricht der Präsident des Steuerzahlerbundes Reiner Holznagel nach dem Urteil aus Rheinland-Pfalz. Die Länder sollten dem Beispiel von Bayern, Hessen, Hamburg und Niedersachsen folgen und schnellstmöglich eigene Grundsteuergesetze auf den Weg bringen, rät Holznagel, damit der Steuerzahler endlich Rechtssicherheit habe. Auf der Kippe steht auch das Baden-Württemberger Modell, da es ebenfalls Bodenrichtwerte als Berechnungsbasis verwendet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Reform 2018 verordnet, da die bisherigen Bewertungskriterien für die Grundsteuerermittlung völlig veraltet waren. Es wäre eine bittere Blamage für die Regierung, wenn nun auch die Reform als nicht verfassungsgemäß bewertet würde. Und genau dafür setzen sich der BdSt sowie H&G ein: „Für uns sind die Entscheidungen des Finanzgerichts Motivation, in unseren Musterverfahren die Grundsteuer bis nach Karlsruhe zu tragen“, erklärt Haus-&-Grund-Präsident Kai Warnecke kämpferisch.
Quellen: fgnw.justiz.rlp.de, wiwo.de, hausundgrund. de, handelsblatt.com, ihk.de, hna.de, chip.de
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